Ohne Reservierung bekamen wir um kurz vor 18 Uhr gerade noch einen Tisch und das bei einem Weinhaus mit 300 Plätzen. Da schlackere ich mal mit den Ohren und falle entspannt in den letzten freien Strohsessel.
Was in den nächsten Stunden passierte, war zwar nicht das, was ich erwartet habe, aber da es viel besser war, bin ich hellauf begeistert.
Nach dem Eintreten steht man in einem klassischen Weinhaus. Aber schon im 19. Jhd wurde es nach hinten erweitert und wenn man nun einmal bis zum Ende durchgeht, geht man gefühlt auch durch verschiedene Epochen des Hauses.
Das Faszinierende: im Weinhaus Lichtenberg gibt es Schnittchen. Ja, ihr habt richtig gelesen: Schnittchen. Schnittchen mit Roastbeef oder Strammer Max etc. Dazu Kartoffelsalat oder auf Anfrage auch Bratkartoffeln und das alles in Portionsgrößen, dass ihr umfallt.
Familie
Im Weinhaus Lichtenberg fühle ich mich wie in einer Familie. Diskret bietet mir der Service einen anderen Stuhl an (ohne Lehnen), wenn ich möchte. Der Chef Ralph begrüßt uns nett und wir kommen ins Gespräch. Diverse Geburtstage werden heute hier gefeiert, man kennt sich und ich lerne, dass auch einige Bonner Familien hier seit Jahren einkehren. Man kennt sich und isst ein Schnittchen zusammen und trinkt einen Wein. Naja … nicht ganz, aber so ein bißchen könnt ihr euch nun die Stimmung vorstellen.
Da ist ein altes Traditionshaus, familiengeführt, ein Teil der alteingesessenen Bonner trifft sich hier und isst dann seine Schnittchen ? Das ist irgendwie faszinierend, was hier passiert. Und über allem thront Mutter Heidi, die auf einem Stuhl am Eingang zur Küche sitzt. Wer in das Weinhaus kommt, geht auch zuerst zur Küche und begrüßt Heidi. Das macht man hier so. Du setzt dich ja auch nicht einfach ins Wohnzimmer bei jemandem und sagst nicht HALLO. Bei der Begrüßung kann man auch in die Küche schauen. Hier gibt es keine Geheimnisse.
Die Rinderbrühe vorab ist ein Traum und bekommt eine 1+, der Rest ist gutes Handwerk und auch so Zutaten wie z.B. der Schinken werden noch von der Stammmetzgerei für das Weinhaus Lichtenberg individuell angefertigt.
Ralph begrüßt alle seine Gäste persönlich. Mit Vielen klönt er noch, weil man sich lange kennt. Die Kinder kommen zu ihm und fangen ihre Wünsche immer mit „Onkel…..“ an. Egal ob es um Buntstifte geht oder ein kleines Wassereis gegen Langeweile, der Onkel hilft. Und macht einer ausversehen in die Hose, kommt sie in die Waschmaschine und den Trockner und dem Kind wird schnell geholfen. Das ist unglaublich rührend und ergänzt wird das Ganze noch durch ein eigenes Spielzimmer für die Kinder im 1. Stock.
Wir schlemmen uns auch noch durch die Vorspeise mit Brot und Leber- und Blutwurst und zum Nachtisch gibt es etwas Eis mit einer selbstgemachten Himbeersauce.
Was mich noch begeistert? In der Küche und auch ein Großteil des Service, sind ältere Frauen, die weder Koch noch Service gelernt haben. Sie kommen aus Königswinter, sind „schon immer“ dabei und lieben ihre Aufgabe. Man kennt sie hier ebenfalls. Sie haben Routine und wirken dabei nie gelangweilt und lächeln. Das ist schön. Und es erklärt, warum diese Rinderbrühe so unglaublich gut ist. Die wird seit Jahrzehnten gekocht und verbessert und ist göttlich.
Der Spargelhimmel
Spargel kann man hier wunderbar essen, aber nicht einfach so. Man muss in einer größeren Gruppe kommen und sich anmelden und Bescheid geben. Mutter Heidi fragt dann am Telefon alles ab: mit gekochtem Schinken oder roh, mit Omelette oder ohne, mit Braten oder nicht, Bratkartoffeln oder Salzkartoffeln und dann gibt es noch 3 Saucen zur Auswahl.
Nachdem ich Bescheid weiß, melde ich mich an, komme in einer Gruppe und genieße dann das unglaublichste Spargelessen meines Lebens.
Es ist alles da, es ist alles selbstgemacht, die Bratkartoffeln sind einfach perfekt, die Saucen alle toll abgeschmeckt …. ich bin im stinknormalen Spargelhimmel.
Wie sehr habe ich sowas gesucht zum Spargelessen. Aktuell gibt es in der Gastronomie einen Trend, den man Social Dining nennt. Eigentlich geht es da eher um große Tische an denen „Fremde“ wieder zusammen kommen und miteinander reden.
Hier im Weinhaus Lichtenberg gibt es das schon immer. Hierher kommt man nur in Gruppen. Hier kennt man sich. Hier klönt man. Was macht A und hast du gehört was B sagt und das ein oder andere Geschäft wird abseits von Bonn auch hier gemacht.